Störgespräch mit Mark Helfrich, MdB

27.03.2020
Interview

Corona, Neuverschuldung, Föderalismus - Mark Helfrich im Gespräch

Im Interview mit Marko Förster berichtet am Freitagnachmittag (27.03.2020) unser Bundestagsabgeordneter Mark Helfrich von seiner Woche. Der Coronavirus, die Rekordneuverschuldung und Fragen des Föderalismus sind unter anderem die Themen.

Marko Förster (Red.): Vielen Dank, dass Du die Zeit für ein kurzes Gespräch gefunden hast. In unser aller Leben wirken sich die Einschränkungen wegen des Corona-Virus aus. Wie sieht das bei Dir aus - schließlich befindest Du Dich doch laut Kalender in einer Sitzungswoche?

Mark Helfrich (MH): In einer normalen Welt wäre diese Woche wirklich Sitzungswoche gewesen. Da im Bundestag Abgeordnete aus allen Ecken der Republik zusammenkommen und damit das Infektionsrisiko enorm steigt, hat man alles auf einen Sitzungstag konzentriert, um die unbedingt notwendigen Corona-Gesetze auf den Weg zu bringen.
Ansonsten mache ich ganz viel im Homeoffice. Ich bin es eh gewohnt, mit meinen Mitarbeitern in Berlin und im Wahlkreisbüro per Telefon, SMS und Mail zusammenzuarbeiten, so dass hier grundsätzlich kein großer Unterschied zu spüren ist. Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass meine Mitarbeiter selbst derzeit im Homeoffice sind, wo die IT-Ausstattung des Bundestages bei manchen Mitarbeitern an ihre Grenzen stößt.
Besonderheit Nummer zwei ist, dass nicht nur ich jetzt ganztägig zu Hause bin, sondern auch meine Familie. Und meinem fünfjährigen Sohn fällt die Decke auf den Kopf. Eine Situation, die derzeit sehr viele Eltern gut nachempfinden können.

Red.: Das stimmt, so geht es aktuell vielen Menschen im Land und nicht nur den Fünfjährigen scheint die Decke auf den Kopf zu fallen. Einige haben dabei noch Bedenken, dass uns nun die Schulden nur so um die Ohren fliegen. Die Schwarze Null ist Geschichte. Ihr habt diese Woche im Plenum die größte Neuverschuldung der deutschen Geschichte beschlossen. Wie fühlt sich das an?

MH: Als Parlament setzen wir in einem in der Geschichte des Bundestages allenfalls nach dem 11. September 2001 schon einmal praktizierten Eilverfahren alles daran, die Krise selbst und ihre wirtschaftlichen Folgen für unser Land zu bekämpfen. Innerhalb eines einzigen Sitzungstages haben wir ein gewaltiges Sofortprogramm beschlossen, das vom Sozial- und Gesundheitswesen bis zu weitreichenden Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft reicht. Dafür nehmen wir eine ebenfalls beispiellose Neuverschuldung von gut 156 Milliarden Euro in Kauf. Selbst als glühender Verfechter der vom damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble etablierten „Schwarzen Null“ habe ich dieser gewaltigen Neuverschuldung aus Überzeugung zugestimmt. Eine in dieser Größenordnung nie da gewesene Krise erfordert entschlossenes Handeln und entsprechende Ressourcen. In der derzeitigen Lage gilt es, Bedenken, Befindlichkeiten und Bürokratie rigoros hintenanzustellen.

Red.: Du sprichst Bedenken und Befindlichkeiten an. Ist in so einer Situation der Föderalismus nicht ein großes Hindernis?

MH: Corona stellt unser föderales System vor eine nie dagewesene Bewährungsprobe. Nur, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, kann es gelingen, ein Virus zu stoppen, das nicht vor Ländergrenzen Halt macht. Daher ist es sicherlich richtig und wichtig, dass mit dem Mittwoch im Bundestag verabschiedeten Gesetz eine zentrale Steuerung aus Berlin erfolgen kann. Wir haben jedoch in den letzten Wochen gesehen, dass alle 16 Bundesländer gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben. Und was zur Wahrheit auch dazugehört: Jedes Bundesland hat ganz individuelle Gegebenheiten. Es kann sein, dass zum Beispiel Themen, die in Bayern gerade besonders akut sind, in Schleswig-Holstein (noch) eine untergeordnete Rolle spielen und umgekehrt. Hier bietet der Föderalismus die Chance, ein regionenspezifisches Finetuning vorzunehmen.
Wünschenswert wäre es jedoch, wenn wir die Situation auf lange Sicht gesehen nutzen, um für dauerhafte Strukturverbesserungen zu sorgen. Und das beginnt mit der personellen Ausstattung der Gesundheitsämter und geht bis zu einer nationalen Bevorratung von Schutzausstattung und Beatmungsgeräten.

Red.: Dabei stehen weitreichende Entscheidungen an. Nehmen Spannungen innerhalb der Koalition dadurch zu? Wie ist da die Stimmung?

MH: Die Stimmung in der Koalition ist geprägt von dem Gefühl, dass es jetzt entscheidend auf die GroKo ankommt und alle persönlichen Befindlichkeiten zurückstehen müssen. Der Bundestag insgesamt arbeitet nach meiner Wahrnehmung mit einem hohen Maß an Ernsthaftigkeit und Respekt zusammen. Allerdings: Die Tätigkeit von uns Parlamentariern ist normalerweise geprägt von ganz viel Interaktion, Austausch und persönlichem Kontakt. Insofern fühlen sich der Parlamentsbetrieb und die Atmosphäre im hohen Haus im Moment in Folge des Abstandsgebotes wirklich merkwürdig an.

Red.: Das angesprochene Abstandsgebot macht vielen Menschen zu schaffen, wir unterhielten uns anfangs schon kurz darüber. Einige fühlen sich ob Ihrer Persönlichkeitsrechte eingeschränkt. Siehst Du die Verhältnismäßigkeit gegeben?

MH: Deutschland erlebt aktuell die größten Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte in der Geschichte der Bundesrepublik. Und das ist leider richtig so! Auch wenn im Moment neue Strategien zur Eindämmung von Corona in Fachkreisen diskutiert werden, gilt bis auf Weiteres: Nur wenn die Kontakte zwischen den Menschen auf ein absolutes Minimum reduziert werden, ist es möglich, die Ausbreitung des Corona-Virus entscheidend zu verlangsamen und eine tödliche Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Ich freue mich, dass die Einsicht in diese nötigen Maßnahmen inzwischen fast die gesamte Bevölkerung erreicht hat. Nur wenn wir alle mitmachen, wird der Kampf gegen Corona erfolgreich sein, nur wenn wir als Gesellschaft solidarisch handeln, wird es gelingen, insbesondere die Älteren und Schwächeren vor einer lebensgefährlichen Ansteckung zu schützen. Deshalb mein Aufruf: Bitte bleiben Sie zuhause – und vor allem bleiben Sie gesund!

Red.: Danke, das wünschen wir uns alle. Auch für die direkten und offenen Worte, vielen Dank. Alles Gute und bleib auch Du gesund!